Branko Pavic, Mettler Toledo GmbH

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Branko Pavic, Head R&D, www.mt.com

Erfahrungsbericht zur Teamorganisation am Beispiel Mettler Toledo

Technologiewerkstatt: Herr Pavic, vor welcher Aufgabe stand Ihr Entwicklungs-Team bzw. wie kamen Sie zu der Erkenntnis, dass sich das Team neu aufstellen muss?

Branko Pavic:

Vor Beginn der Verbesserungsmaßnahmen hatten wir mit einer zunehmenden Anzahl von Fehlern pro Software Release zu kämpfen. Gleichzeitig nahm die Anzahl der Features pro Software Release kontinuierlich ab. Die Pünktlichkeitsrate pro Arbeitspaket lag bei ca. 15 %. Die Zusammenarbeit und die Verantwortlichkeiten zwischen Entwicklung, Produktmanagement und Vertrieb waren nicht geklärt und dadurch entstanden sehr viele Missverständnisse, die zu Qualitätsproblemen, Verspätungen und ähnlichem geführt haben.

Technologiewerkstatt: Das klingt danach, als habe das Team vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen?

Branko Pavic:

Ja, so könnten Sie es auch sagen.

Technologiewerkstatt: Worauf führen Sie das zurück bzw. wie arbeitete das Team zu diesem Zeitpunkt?

Branko Pavic:

Es gab einen Projektleiter, der die Gespräche mit dem Produktmanagement geführt hat, die Aufgaben annahm und dann an das Team verteilte. Es gab weder eng getaktete Feedbackschleifen, die hätten sicherstellen können, dass die Lösungen in die richtige Richtung gehen, noch gab es ausführliche Gespräche über die Kundenforderungen, um Missverständnisse auszuschließen.

Technologiewerkstatt: Mit welchen Techniken arbeiten Sie heute, um die Probleme abzuwenden?

Branko Pavic:

Wir wenden einen Mix aus Critical Chain Project Management und agiler Projektmanagement Methoden an.

Technologiewerkstatt: Was bedeutet es, agil zu arbeiten?

Branko Pavic:

Zweiwöchige Entwicklungssprints brechen das große Projekt in kleine Etappen auf. Zu Beginn dieser Etappen werden Entwicklungsziele für die Zeitfenster definiert, was an Output am Ende des Zeitfensters geliefert werden muss. Das fördert einerseits die Kommunikation stark, andererseits haben die Teams klare Zielvorgaben. Meine amerikanischen Kollegen sagen: If you want to eat an elephant, cut it into pieces.

Technologiewerkstatt: Und was genau ist das Critical Chain Management?

Branko Pavic:

Wir versuchen mit dem Critical Chain Management den optimalen Startzeitpunkt einzelner Projekte herauszufinden. Da wir nicht unendlich viele Mitarbeiter haben, sollte vor dem Start eines Projekts überprüft werden, ob in jeder Projektphase alle benötigten Ressourcen, die eventuell auch aus anderen Teams benötigt werden, zur Verfügung stehen. So soll ein reibungsloser Projektablauf ohne Leerläufe garantiert werden. Ist dies nicht der Fall, sind also Stillstand, Konflikte und Reibungen vorhersehbar, wird ein Projekt neu terminiert. So werden keine Kapazitäten gebunden und Kollisionen mit anderen Projekten vermieden. Diese Priorisierung hilft, Engpässe auszuschließen und sichert einen optimalen Einsatz der vorhandenen Ressourcen.

Technologiewerkstatt: Wie genau tragen nun also diese Methoden dazu bei, dass aus dem low performance ein high performance Entwicklungsteam wurde?

Branko Pavic:

Durch die Anwendung agiler Methoden ist das gesamte Team für die Übernahme und Durchführung der Aufgaben verantwortlich. Es muss nun die Eingangs- sowie die Ausgangsqualität von Informationen, Anforderungen und Lösungen sichergestellt sein. Eine bessere Abstimmung mit dem Produktmanagement und dem Vertrieb ist unumgänglich. In so genannten Refinement Meetings wird jede Kundenanforderung gemeinsam besprochen, Lösungsansätze sowie Aufwände werden diskutiert. Alle zwei Wochen werden dem Produktmanagement die Entwicklungsstände vorgestellt und von diesem abgenommen. So können frühzeitig notwendige Korrekturen erkannt und realisiert werden.
Mit der Critical Chain Projekt Management Methode frühzeitig Engpässe zu erkennen und unsere Projekte auf Basis deren Verfügbarkeit zu staffeln, vermeidet jede Menge Stress und Ärger. Das steigert auch insgesamt die Produktivität unseres Bereichs.

Technologiewerkstatt: Aber es bleiben doch gewisse Unplanbarkeiten vorhanden?

Branko Pavic:

Ja, sicher. Spontane Kundenanfragen kommen immer wieder. Deswegen haben wir die Funktion eines "Liberos" im Team eingeführt. Damit wollen wir nicht planbare Ereignisse planbar machen. Die Liberos fungieren als Springer. Sie arbeiten planmäßig in einem Projektteam mit, können aber außerplanmäßig abgezogen werden, ohne die Erreichung der festgesetzten Ziele des Projektteams zu gefährden. Werden die Liberos nicht an anderer Stelle spontan benötigt und der Output des Projektteams steigt an, ist das ja kein Problem. Nur andersherum gibt es Schwierigkeiten. Deshalb werden bei den Sprints von vornherein 80 % des geforderten Outputs als Ziel definiert, damit die Liberos flexibel einsetzbar bleiben.

Technologiewerkstatt: Wie halten Sie die Motivation im Team hoch?

Branko Pavic:

Dadurch, dass jedes Teammitglied mit Hilfe des agilen Ansatzes "gezwungen" wird, mehr und mehr auch Aufgaben zu übernehmen, die ihm anfangs vielleicht nicht liegen (Unsicherheit, fehlendes Wissen…), wachsen die Mitarbeiter. Denn sie lernen ständig dazu und entwickeln sich so nicht nur in die Tiefe (Spezialist), sondern auch in die Breite (Generalist). Hinzu kommt noch ihre Selbstführung zur Konfliktbewältigung.

Technologiewerkstatt: …Selbstführung zur Konfliktbewältigung?

Branko Pavic:

Ja, während eines Trainings wurden die Kollegen in einem Impulsvortrag zum Nachdenken bewegt, wer eigentlich für die Probleme verantwortlich ist. Ist es der Teamleiter? Der andere Kollege? Der Chef? Oder ist es am Ende jeder auch ein bisschen selbst z.B. weil er eine Blockade hat? Es wurde ein Prozess gestartet, mit dem Ergebnis, dass sich jeder Einzelne selbst hinterfragt, also unbewusste Abläufe sich bewusst macht. Über allem steht: Wenn ich mich nicht selbst führen kann, wie soll es dann klappen, ein Team zu führen? Das spornt an, an sich zu arbeiten. In Zukunft gibt es noch eine weitere Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und auch mal "auszubrechen". Darüber verrate ich dann mehr in meinem Online-Vortrag!

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

 

Interview: Christine Seizinger, Contento-PR, www.contento-pr.de

 

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